Vorwort.

Die begonnene Klima- und Aussterbekatastrophe ist – für alle Mitbürger:innen nunmehr unübersehbar – auch in Europa und Deutschland angekommen. Ungewohnte Wetterextreme, riesige Waldbrände, ständige Temperaturrekorde und vieles mehr zeugen davon. Das Wissen um die existenzielle Bedrohung unserer Lebensgrundlagen ist nicht länger abstrakt.

Jeder Mensch in Deutschland kann nunmehr wissen, wie es um die Erde steht. Es gibt kein Wissensdefizit, sondern ein Willensdefizit. Und jede Menge fest verschlossener Augen.

Das ‚große Bild‘ steht in diesen Tagen in gigantischer Hochauflösung glasklarst vor uns. Es kommt daher für Bürger:innen meines Erachtens nicht länger darauf an, möglichst viel Detailwissen über die verschiedenen Krisenherde anzuhäufen:

  • Wie viele Windräder im Jahre 2024 in Deutschland genau gebaut wurden, ist letztlich unerheblich. Wir wissen: Es sind viel zu wenige.1
  • Eine Forschungsgruppe rund um Johan Rockström hat im Mai 2023 erklärt, dass mittlerweile sieben von acht Grenzen des Erdsystems überschritten sind.2

Mehr braucht es nicht, um klar erkennen zu können, dass die weitverbreitete Meinung – ein paar Reformen wie z. B. eine Umstellung auf Elektromobilität würden ausreichen, um ‚Weiter so‘ machen zu können wie bisher –, weltfremd, anmaßend, zynisch und zutiefst menschenverachtend ist: Nur ein umfassender, globaler Neustart der Menschheit bietet die Chance zu einer relevanten Abmilderung der begonnenen Klimakatastrophe und des ebenso dramatischen sechsten Massenaussterbens.

Michael Ende drückt das so aus:

„Auf einem Dampfer, der in die falsche Richtung fährt, kann man nicht sehr weit in die richtige Richtung gehen.“3

Nur eine 180°-Wende des Menschheits-Schiffs mit einer gesamtgesellschaftlichen Transformation auf Basis der weitverbreiteten Einsicht, künftig planetenkonform leben zu wollen, hält die Möglichkeit offen, den Verlust der existenziellen Lebensgrundlagen der Menschheit, unserer eigenen Nachgeborenen und aller künftigen Generationen verhindern zu können.

Dass ein solcher Neustart derzeit eher unwahrscheinlich ist, ist offensichtlich. Diese für uns Zukunftsaktivist:innen schmerzhafte Erkenntnis bedeutet, dass wir uns damit auseinanderzusetzen haben, dass unser gebündeltes Engagement mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen wird. Wie können wir damit umgehen und psychisch gesund bleiben? Die sog. „Tiefe Anpassung“ ist ein Weg damit umzugehen (siehe S. 142 ‚Hinweis zu Klimaangst‘).

Wir Erwachsenen haben uns klar zu machen: Immer mehr Jugendliche und Kinder haben massive Zukunftssorgen, Depressionen und Ängste – und zwar in vielen Ländern der Welt.4 Psycholog:innen sprechen hier von einem Megatrend (ebd.), der schon vor der Covid-19-Pandemie begonnen hat. Und wenn sie, die Jugendlichen und Kinder, diese Ängste z. B. in Form von Demonstrationen ausagieren, werden sie von vielen Erwachsenen und Meinungsmedien als Schulschwänzer:innen oder – OMG! – als Klimaterrorist:innen5 u. ä. verhöhnt. Stellen Sie und ich uns einmal kurz vor, wir wären jetzt 19 Jahre alt – wie würden wir uns fühlen ohne offene Zukunftsperspektive? Wie erginge es uns, konfrontiert mit älteren Generationen, die lieber auf Kreuzfahrt gehen als sich für uns, die eigenen Enkel:innen, einzusetzen? Und die die Zukunft verfliegen?6

Apropos Angst – nicht nur Klima- und Zukunftsängste nehmen zu: Die Politiker:innen der demokratischen Parteien in Deutschland setzen wider besseren Wissens und ohne jede Idee von Zukunft auf das Steigerungslogik-geprägte neoliberale ‚Weiter so‘. Die meisten Bürger:innen wissen – mindestens intuitiv –, dass das Quatsch ist. Mit dieser Stillstandpolitik treiben Politiker:innen bestürzend viele überforderte, orientierungslose, verunsicherte, frustrierte, ängstliche und sich abgehängt fühlende Mitbürger:innen in die irrationale Welt der Verschwörungserzählungen sowie in die Arme derjenigen, die seltsame, menschen- und demokratiefeindliche, destruktive Pseudo-Antworten anbieten auf die komplexen Fragen dieser Zeit.

Wobei manche Dinge wirklich einfach sind: Es gilt die Schöpfung bzw. die natürlichen Lebensgrundlagen für Tier, Pflanze und Mensch zu bewahren. Was denn sonst?

Nein, wir Bürger:innen brauchen nicht allesamt spezielles Detailwissen rund um Klima- und Aussterbefragen anzuhäufen. Die Sache ist ohnehin klar. Es geht vielmehr darum, einen Umgang damit zu finden, d. h. sich den Tatsachen zu stellen und eine Haltung zu entwickeln.

Ich schlage daher vor, den Schritt intellektuelles Klimaexpertentum zu überspringen und statt dessen emotional zum nächsten Schritt überzugehen: Es ist meines Erachtens an der Zeit, sich grundlegend zum Leben zu bekennen, sich also emotional und konsequent dazu zu bekennen, in dieser dramatischen Zeit auf der Seite des Lebens stehen zu wollen – und nicht auf der Seite des… Nichts.

Deshalb habe ich dieser erweiterten Fassung des vormals Eine neue Geschichte der Zukunft getitelten Buches u. a. auch den Essay Wir sind Erde. Das (ökologische) Bekenntnis zum Leben mit 25 kurzen Impulsenhinzugefügt (Seite 73). Mit dem im Buch danach folgenden Text (Seite 77) Es ist Zeit für das… Bekenntnis zum Leben unternehme ich den Versuch, besagte 25 Impulse noch knapper zu fassen und auf fünf Punkte einzudampfen…

… für diese wunderbare Oase des Lebens inmitten unbelebter Sterne, für die es sich verdammt noch mal lohnt, Bäume zu pflanzen, unter denen wir selbst nicht sitzen werden.7

Marc Pendzich.


Quellenverzeichnis

1 ‚Viel zu wenige neue Windräder in Deutschland‘ –Mit dem großangelegten Zubau von erneuerbaren Energien ist es indes nicht getan, wie das Beispiel China zeigt: „China baut mit 64 Prozent der weltweit im Bau befindlichen Solar- und Windenergiekapazitäten fastdoppelt so viele Kapazitäten wie alle anderen Länder zusammen. […] Neben Wind- und Solaranlagen baut China auch viele neue Kohlekraftwerke“ (Tagesschau 2024). „Alleine in der ersten Hälfte dieses Jahres [2023] wurden laut einer Studie im Schnitt zwei [Kohle-]Kraftwerksblöcke pro Woche genehmigt“ (Tagesschau 2023). D. h. der Gesamtenergiebedarf in China – der ‚Werkstatt der Welt‘ – wächst weiterhin (vgl. Statista 2024a), sodass trotz des umfassenden Zubaus von erneuerbaren Energien der CO2-Ausstoß im Ergebnis weiterhin jährlich zunimmt (vgl. Statista 2024b). – Statista (2024a): „Vergleich des Energieverbrauchs in den USA und in China im Zeitraum von 1980 bis 2023“. In: Statista, 05.07.2024, online unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/161454/umfrage/vergleich-des-energieverbrauchs-der-usa-und-china-2005-und-2009/ (Abrufdatum 28.10.2024) [paywall]; Statista (2024b): „Pro-Kopf-CO2-Emissionen in Deutschland, den Vereinigten Staaten und China in den Jahren 1960 bis 2022“. In: Statista, 23.10.2024, online unter https://de-1statista-1com-1j2usyxm1005f.buecherhallen.hh-han.com/statistik/daten/studie/1273207/umfrage/pro-kopf-co2-emissionen-in-deutschland-den-usa-und-china/ (Abrufdatum 28.10.2024) [paywall]; Tagesschau (2023): „Ausbau beschleunigt: China setzt massiv auf Kohlekraftwerke“. In: Tagesschau, 27.02.2023, online unter https://www.tagesschau.de/wirtschaft/energie/china-kohlekraftwerke-100.html (Abrufdatum 28.10.2024); Tagesschau (2024): „Neue Studie: Chinas Vorsprung bei Wind- und Solarenergie wächst“. In: Tagesschau, 11.07.2024, online unter https://www.tagesschau.de/wirtschaft/energie/china-ausbau-windenergie-solarenergie-100.html (Abrufdatum 28.10.2024).

2 ‚Sieben von acht Grenzen des Erdsystems sind mittlerweile überschritten‘ – Johan Rockström hat mit Forschungsgruppen zwei Konzepte zur Beschreibung des Zustandes des Planeten entwickelt, konkret die ‚Erdsystemgrenzen‘ (‚Earth System Boundaries‘) sowie die ‚planetaren (Belastungs-)Grenzen‘ (‚Plantetary Boundaries‘): „Die Earth Commission, ein internationaler Zusammenschluss von Wissenschaftlern, hat nun [im Jahr 2023] sichere und gerechte Grenzen des Erdsystems benannt und in Zahlen gefasst. [… So] schreibt die Gruppe um Johan […], dass sieben von acht sicheren und gerechten Grenzen bereits überschritten seien. […] Die Studie basiert auf dem 2009 von Rockström und Kollegen [und 2023 aktualisierten] vorgestellten Konzept der planetaren Grenzen, deren Überschreiten [ – sechs von neun planetaren Belastungsgrenzen sind hier bereits zum Teil deutlich überschritten – ] die Stabilität der Ökosysteme auf der Erde gefährdet. Ergänzt wurden Aspekte der Donut-Ökonomie mit Grenzen für einen sicheren und gerechten Handlungsraum für eine menschliche Zivilisation, die die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth 2012 beschrieben hatte.“ (SZ, beruhend auf dpa-Meldung, 01.06.2023, online unter https://www.sueddeutsche.de/wissen/natur-menschheit-lebt-jenseits-der-grenzen-des-erdsystems-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230601-99-902032 (Abrufdatum 16.09.2024) sowie eingeschobenes indirektes Zitat aus SZ, beruhend aufdpa-Meldung „Klimakrise: Sechs von neun Belastungsgrenzen der Erde überschritten“ (14.09.2023), online unter https://www.sueddeutsche.de/wissen/klimakrise-sechs-von-neun-belastungsgrenzen-der-erde-ueberschritten-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230913-99-179123 (Abrufdatum 16.09.2024)), s. a. https://www.spektrum.de/news/sieben-von-acht-grenzen-des-erdsystems-sind-ueberschritten/2146776 (Abrufdatum 16.09.2024) sowie https://eod.handbuch-klimakrise.de.

3 ‚Auf einem Dampfer, der in die falsche Richtung fährt, kann man nicht sehr weit in die richtige Richtung gehen.‘ – siehe Ende, Michael (1994): Zettelkasten. Skizzen und Notizen. Weitbrecht. S. 276.

4 ‚Zukunftsängste unter Kindern und Jugendlichen‘ – siehe Schwenkenbecher, Jan (2024): „Psychische Probleme bei Jugendlichen: Warum die psychische Krise der Jugendlichen so bedrohlich ist“. In: Die Zeit, 14.08.2024, online unter https://www.zeit.de/gesundheit/2024-08/psychische-probleme-jugendliche-ursachen-massnahmen-experten (Abrufdatum 23.09.2024) [paywall], siehe auch Urner, Maren (2021): Raus aus der ewigen Dauerkrise. Droemer, S. 67f.: „Nach dem Sinn des Lebens befragt, war der wichtigste Aspekt für die meisten Menschen das Gefühl, von Bedeutung zu sein. […] Bedeutung bekommen wir dann, wenn wir das Gefühl haben, dass unser Verhalten einen Unterschied macht und das Leben es wert ist, gelebt zu werden. […] Genau dieses Gefühl von Bedeutung fehlt vielen jungen Menschen – oder umgekehrt formuliert: Sie fühlen sich bedeutungslos.“

5 ‚Klima-Terroristen etc.‘ – siehe nicht-zitierfähige Boulevardmedien. Es ist tatsächlich das Unwort des Jahres 2022, weitere Begriffe sind ähnlich gelagert. Beispielsweise verwendet Dennis Thering, Landesvorsitzender der CDU Hamburger, im Zusammenhang mit der Letzten Generation Begriffe wie „Klima-Kriminelle“, Klima-Chaoten“ und „Klimakleber“ sowie „Klima-RAF“, vgl. Buck, Luisa (2024): „Keine Strafe für Klimaaktivisten in Hamburg: War die Polizei wirklich zu schnell?“. In: tag24.de, 06.08.2024, online unter https://www.tag24.de/hamburg/lokales/keine-strafe-fuer-klimaaktivisten-in-hamburg-war-die-polizei-wirklich-zu-schnell-3306194; dpa-Meldung in Merkur.de, 25.03.2024, online unter https://www.merkur.de/deutschland/hamburg/klimaaktivisten-zahlen-selten-fuer-polizeieinsaetze-zr-92911439.html sowie NDR.de, 18.04.2023, online unter https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Blockade-zu-Ostern-Klima-Aktivisten-kamen-nicht-aus-Hamburg,klimaprotest220.html; Thering, Dennis (2023): „Thering: Vandalismus ist kein Klimaschutz!“. In: cdhh.de, 23.10.2023, online unter https://cduhh.de/thering-vandalismus-ist-kein-klimaschutz/ (Abrufdatum jeweils 23.09.2024).

6 ‚Wie würden wir Erwachsenen uns als Jugendliche gefühlt haben ohne offene Zukunftsperspektive?‘ – Dem wird gern entgegen gehalten, man sei zur Zeit des Kalten Krieges aufgewachsen. Ja, das war ebenfalls bedrohlich und ich habe das auch so gefühlt. Es gibt einen entscheidenden Unterschied: Damals hing es an einzelnen Menschen, rote Knöpfe zu drücken, soll heißen, es bedurfte einer Aktion, um die Dinge zum Schlechten zu wenden. Heute bedeutet der für junge Menschen allgegenwärtig zu beobachtende gesellschaftliche Stillstand den absehbaren naturgesetzlich unausweichlichen Zivilisationsverlust.

7 Schlusssatz –„Oase“ vgl. Pierre Rabhi, französischer Schriftsteller, Landwirt und Ökologe. Autor von Manifest für Mensch und Erde im Interview in der Doku Tomorrow. Die Welt ist voller Lösungen von Melanie Laurent, Melanie und Cyril Dion (2016) sowie „Bäume“: „The true meaning of life is to plant trees, under whose shade you do not expect to sit.“ – Nelson Henderson zugeschrieben.